Buchhandlungen, Zeitschriften, Social Media – am Thema „Glück“ kommt man nicht mehr vorbei. Es scheint, als wüsste jeder den Weg zu Erfolg, Reichtum und Glück. Als müsste man nur fest genug daran glauben und positiv denken, damit sich alles ganz von selbst zum Guten wendet. Ehrlich gesagt kann einem das ganz schön auf die Nerven gehen, oder? Berechtigterweise entsteht dadurch auch jede Menge Skepsis. Deshalb möchte ich an dieser Stelle mit einem Missverständnis aufräumen und eine Lanze für die zwar noch recht junge, aber wissenschaftlich hervorragend abgesicherte Sparte der Psychologie brechen. Gerade auch, weil sie viele Impulse bereithält, die für die Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen hilfreich sind. Denn die aktuelle psychologische Forschung zeigt, wie bedeutsam ein gutes Miteinander und eine sinnstiftende, stärkenorientierte Tätigkeit sowohl für die Gesundheit als auch für Produktivität und Kreativität sind.

 

Positive Psychologie hat nichts mit positivem Denken zu tun!
 

Positives Denken meint seine Gedanken stetig bewusst in eine positive Richtung zu lenken und für eine ständig positive Grundstimmung zu sorgen. Dies kann leicht zur Verdrängung von unangenehmen, aber wichtigen Gefühlen und zum Ignorieren von Problemen führen, die eine aktive Auseinandersetzung benötigen würden. Zudem besteht die Gefahr, dass die Kluft zwischen Emotionen und Körpergefühl einerseits und bewusstem Denken andererseits noch größer wird. Das führt dazu, dass gute, stimmige Entscheidungen noch schwerer werden. Und wenn jemand gerade einen lieben Menschen verloren hat, arbeitslos ist oder mit Erschöpfung, Depressionen oder einer schweren körperlichen Erkrankung zu kämpfen hat, ist die Forderung positiv zu denken destruktiv und geradezu zynisch.
 

Die Positive Psychologie verfolgt einen salutogenetischen Ansatz. Anders als klassische Psychotherapie-Schulen fragt sie nicht nach der Ursache für psychische Erkrankungen, sondern nach den Faktoren, die zu Gesundheit und einem gelingenden Leben beitragen. Das bedeutet keineswegs dauerhaft grinsend und ständig glücklich durchs Leben zu gehen! Glück als solches ist NICHT das primäre Ziel. Denn Glück ist schwer zu definieren, für jeden anders, außerdem flüchtig. Und das ist gut so, denn sonst gäbe es keine Veränderungen und ergo Stillstand statt Entwicklung und Reife. Es geht vielmehr darum zu erforschen und praktisch umzusetzen, was persönliches Wachstum und Aufblühen ermöglicht.
 

Professor Martin Seligman von der Pennsylvania University, einer der Pioniere der Positiven Psychologie, hat fünf Bereiche herausarbeiten können, die er mittlerweile um einen sechsten erweitert hat. So entstand sein PERMA-Modell (Seligman, M. (2011): Flourish. New York, NY: Free Press. Seligman, M (2018): PERMA and the building blocks of well-being, The Journal of Positive Psychology).

 

P - positiv emotions
steht dafür, im Alltag immer wieder gute Gefühle zu erleben, was nicht Spaß und Freude bedeuten muss, sondern auch Hoffnung, Dankbarkeit,  Liebe, Inspiration oder Ehrfurcht.

E-engagement
steht für Flow im Tun, also ein Aufgehen in der Tätigkeit, die weder über- noch unterfordert, sondern energiegeladen und mit Freude unter Einsatz der eigenen Stärken ausgeführt werden kann.

R- relashionships
steht für Beziehungen und unterstreicht, wie wichtig vertrauensvolle Verbundenheit zu anderen für unser Wohlbefinden ist.

M - meaning
steht für Sinnfindung, für ein Lebensziel, für die Möglichkeit stimmig mit den eigenen Werten etwas Sinnvolles beitragen zu können.

A-accomplishment
meint Erfolge, wobei es um das Erleben von Selbstwirksamkeit geht, gerade auch um die kleinen Dinge und nicht um schneller, höher, weiter.


Dieser Ansatz hat sich in vielfältigen Kontexten, in Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Familien, beim Militär genauso wie im Non-Profit-Bereich bewährt. Vieles davon lässt sich mit einfachen Mitteln im beruflichen Kontext umsetzen – von der Förderung eines guten Miteinanders über eine entsprechende Führungskultur bis hin zu Trainingsangeboten für Beschäftigte.
 

Und auch in der Psychotherapie ist der Blick auf Stärken und Ressourcen hilfreich - solange Raum bleibt für all die schweren Themen und unangenehmen Gefühle, die einfach zum Leben dazu gehören. Erst wenn wir Beides in den Blick nehmen - leidvolle Erfahrungen ernst nehmen, der Trauer Zeit geben und gleichzeitig die Sehnsucht, die Kompetenzen und Stärken gemeinsam mit unseren Klienten entdecken und wertschätzen – sehen wir den Menschen in seiner Gänze und können damit helfen, Entwicklung und Wachstum fördern. 
 

Für alle, die mehr wissen möchten, empfehle ich zum Einstieg „Flourish – wie wir aufblühen“ von Martin Seligman und „Die Macht der guten Gefühle“ von Barbara Fredrickson.   
 

Und auch in unseren Fortbildungen greifen wir immer wieder Aspekte aus der Positiven Psychologie auf. So hatte am 15.03.24 Frau Bettina Hantmann-Willmes über VIA-Stärken berichtet. In den interaktiven Online-Seminaren "Psychische Gesundheit fördern" und "Psychische Gesundheit" am 26.06.24 werden wir u.a. über Positive Energizing Leadership nach Kim Cameron sprechen und uns am 19.11.24 auch mit der Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen beschäftigen. Wir würden uns freuen Sie dort begrüßen zu können!